Donnerstag, 10. September 2020
Fallstricke
Wir haben frühmorgens hier immer eine nette Runde, bestehend aus drei Menschen. Kaffee, Zigarette und den Tag allmählich beginnen, Tiere beobachten (die Eichhörnchen sind geradezu hektisch derzeit, während die Vögel sowas wie einen zweiten Frühling feiern.) und reden.
Heute kam die Rede auf den alltäglichen Umgang mit Gebrauchsmitteln. Nicht nur Essen und Trinken, auch diverse andere Sachen enthalten nämlich Alkohol.

Der übliche Griff zum Mundwasser kann da fiese Folgen haben. Viele enthalten nämlich eine nicht geringe Menge an Alkohol und wenn man damit fröhlich gurgelt und DANN pusten muss: auweia. Ok, im normalen Leben steht natürlich niemand morgens und abends und nach jedem Ausgang vor einem und hält das Kontrollgerät vor die Nase. Und trotzdem ist da oft ein blödes Gefühl. Obwohl man sich sehr sicher ist, nichts konsumiert zu haben, luschert man trotzdem auf die Anzeige und wartet auf das 0,0. Wie blöde.
Aber auch wie aufmerksam von einem selber. Viele sagen hier, dass sie sich überhaupt nicht mit ihrer Sucht beschäftigen. Sie denken nicht daran und damit ist die Sache erledigt.
Ich bin da anders. Weil ich weiß, wie aufmerksam man ab sofort - wieder- durchs Leben gehen muss. Wenn ich meine Sucht völlig ignoriere, habe ich mich damit nicht genügend auseinandergesetzt.

Und dann passiert es tatsächlich, dass man sich einen Becher Eis kauft und einem plötzlich ein wattiges Gefühl im Kopf hochsteigt. Und dann guckt man doch mal auf die Inhaltsstoffe und siehe da: das Zeug enthält Alkohol.
Eine völlig harmlose Eissorte wie Schoko-Banane. Na vielen Dank auch.

Siehe auch Kinder-Milchschnitte. Mittlerweile wurde es geändert, aber die erste Version enthielt reichlich Schnappes. Für KINDER. Soviel zum Umgang mit Alk seitens der Nahrungsindustrie ;-)

Man sollte jederzeit aufmerksam, aber nicht panisch sein. Persönlich habe ich z.B. überhaupt kein Problem damit, Fleischsalat oder ähnliches zu essen, wo Branntweinessig enthalten ist. Ich sortiere jetzt auch nicht hektisch alle Lotions und Cremes aus, wo Ethanol enthalten ist. Ich neige nicht dazu, meine Bodylotion auszuschlürfen oder mir Niveacreme aufs Brot zu schmieren *schudder* und da die gut riecht, aber nicht nach Alk: so what?

Bei mir unbekannten Sachen wie z.B. letztens ein Garnelensalat von Gosch war ich aber tatsächlich unsicher. Ich musste direkt nach dem Essen zum pusten und hatte für 1 Sekunde Panik. Damn, ich hatte nicht auf die Inhaltsstoffe geguckt. Was, wenn da Weißwein oder sowas enthalten war? Was lernt Frau S. daraus? :"Mädel, guck halt auf das Etikett!"
(Spoiler: war nix, alles fein)

Auch wenn man Essen geht, kann es daneben gehen. Eine Freundin, seit langem trocken, hatte erst vor wenigen Monaten die unschöne Erfahrung gemacht, dass in dem bestellten Essen reichlich Alkohol enthalten war und es war nicht deklariert. Leute: das geht nicht. Wirklich nicht. In den allermeisten Fällen wird man nicht sofort wieder rückfällig, aber das Gefühl eines leichten Räuschleins reicht leider oft schon aus, alle alten Trigger wieder in Hochstimmung zu versetzen und es bedarf einiges an Willenskraft, dem nicht nachzugeben. Zudem ist es schlicht und einfach Scheiße von dem betreffenden Koch, solche Speisen nicht klar zu definieren.

Womit ich persönlich keinerlei Probleme habe: wenn Rotwein in einem Schmorgericht ist und das ganze dann stundenlang vor sich hin köchelt. Da ist kein Alk mehr im Essen und ich werde absolut nicht getriggert. Ich selber koche zwar nicht so, aber kann es bei Einladungen problemlos und mit Genuss essen.
Kocht man allerdings ein Chili nur 15 Minuten und die Soße besteht zu 30 % aus Rotwein...(hiermit liebe Grüße an den Ex-Kollegen. Das war nicht lustig)

Fazit: uffpasse! Mit den Jahren kommt eine gewisse Gelassenheit, die aber wirklich nie in einen Schlendrian wechseln sollte. Und der kleine Fiesling ist wirklich nie ganz weg.

Oh, Frühstück! (darauf freue ich mich übrigens auch sehr: dann zu essen, wenn ich Hunger habe. Und nicht, weil es 8 Uhr ist...)

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Samstag, 5. September 2020
Hilfe finden
Seit 2 Monaten schreibe ich jetzt diesen Blog und in der kurzen Zeit kamen Menschen auf mich zu, denen es so ergeht wie mir. Bis auf die Tatsache, dass sie sich noch keine Hilfe geholt haben.

Was kann man tun, wenn man merkt, dass man eindeutig zu viel trinkt, wenn es einem immer schlechter geht und man die Kontrolle verliert?

Als erstes wäre da der Hausarzt/ die Hausärztin. Vor 9 Jahren hatte ich eine nicht so wirklich gute, die mir auf mein Blutkotzen hin empfahl, "mal ein Süppchen zu essen". Ende vom Lied: ich wies mich selber ins Krankenhaus ein und nachdem alles durch war, also knapp ein Jahr später, lobte sie sich, wie toll sie das alles gewuppt hatte.

Ja nee. Is klar. Nix haste gewuppt, Frau Doktor.

Ein guter Arzt erkennt, dass der Mensch vor ihm am Ende ist und ergreift entsprechende Maßnahmen. Zum einen natürlich eine Überweisung in eine Klinik zum entgiften. Das reicht aber nicht. Möchte man nicht erst aus purer Verzweiflung den Weg über die Geschlossene gehen, muss man einen Termin zum entgiften machen. Ansonsten wird man in 99% der Fälle erstmal wieder nach Hause geschickt. Die Stationen sind erschreckend voll, man sollte sich auf Wartezeiten bis zu 2 oder sogar 3 Wochen einstellen. Zudem muss man meistens regelmäßig auf der entsprechenden Station anrufen, um seinen Willen zu "beweisen". Was vielen durchaus schwer fällt. Man ist so in seinem Elend, dass es unsagbar anstrengend ist, täglich zu einer festen Uhrzeit die Klinik anzurufen. Klingt komisch, ist aber so. Man schafft es ja auch nur selten, zu duschen, geschweige denn mal aufzuräumen etc.

Hat man einen Termin: entgiftet NICHT VORHER ZU HAUSE!! No fucking way, das lasst bitte hübsch bleiben. Trinkt weiter. Haltet den Spiegel so, dass ihr nicht entzügig werdet. Es ist auch absolut kein Problem, mit Promille auf der Station anzukommen. Die sind das da gewohnt und ihr seid ganz bestimmt nicht alleine. Alles besser, als alleine zu entziehen.

Und erst nach ca. 4 bis 5 Tagen, wenn man allmählich von den Benzoediazepinen runter ist und wieder anfängt, sich halbwegs menschlich zu fühlen, erst dann geht der Weg weiter.

Nehmt euch die Zeit, der Körper braucht die Ruhe. Die Seele auch, aber das kommt erst viel später.

Nach der ersten Woche wird ein/e Therapeut/in auf euch zu kommen. Man bespricht dann das weitere Vorgehen und die Möglichkeiten, die man hat. Macht bitte nicht den Fehler und denkt nach den 21 Tagen, dass jetzt alles ok wäre. Ist es nicht. Auch wenn man sich fühlt, als könnte man die Welt erobern. Nope. Fallt nicht drauf herein. Das wird einem in den Gesprächen auch gesagt, dass die 21 Tage nicht reichen werden. Zumindest nicht in den allermeisten Fällen. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass gerade mal 2% es direkt nach der qualifizierten Entgiftung geschafft haben, ab sofort abstinent zu bleiben. Glückwunsch. Aber so selten wie ein Albino-Seebär.

So: kommen wir zu den Anträgen. Igitt, Bürokratischer Kram. Aber man hat Hilfe. Die Therapeuten wissen sehr genau, was man wo beantragen kann. Man muss einen Lebenslauf schreiben und der wird dann genutzt, um einen Sozialbericht zu verfassen. Der plus Arztbrief geht dann an die entsprechenden Stellen.
Eine Langzeittherapie wird in den meisten Fällen von der Deutschen Rentenversicherung bezahlt.
Eine Vorsorge (die es nur selten in Deutschland gibt!), wird von der Eingliederungshilfe/Gesundheitsamt bezahlt.
Die Entgiftung zahlt die Krankenkasse.

Und sind die Anträge dann raus, heißt es warten.

Hier in der Vorsorgeeinrichtung, wo ich mich noch 4 Wochen aufhalten werde, kann man bleiben bis endlich die Kostenzusage der DRV da ist und ein Platz in der gewählten Langzeittherapie frei ist. Das kann relativ schnell gehen. Oder auch seeeehr lange dauern. In meinem Fall waren es damals fast 3 Monate. :-/

Hat man nicht die Möglichkeit, in eine Vorsorge zu gehen, empfiehlt es sich, eine Beratungsstelle aufzusuchen und/oder sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Was auch immer man macht: möglichst nicht alleine bleiben. Der Suchtdruck wird wiederkommen und wenn man endlos lange wartet auf den erlösenden Brief, ist es gefährlich. Der Frust lässt einen schnell wieder zur Flasche greifen.

Das mag jetzt alles sehr kompliziert klingen. Aber eigentlich ist es das nicht. Kompliziert ist das Warten. Und natürlich der erste Schritt, sich überhaupt Hilfe zu suchen. Aber wenn man den gemacht hat: allerherzlichsten Glückwunsch!

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Sonntag, 30. August 2020
Vorbereitung auf die Rückkehr
Bisher war ich zweimal nach der Entgiftung in meiner Wohnung. Einmal, um Kleidung und Krams für den Aufenthalt hier zu holen, das zweite mal einfach nur so, mit einem Freund von hier. Beide Male fühlte ich mich eher unwohl und wollte relativ zügig wieder weg, in die sichere Umgebung.

Gestern war es anders. Ich kam rein und alles was mir einfiel war: will hierbleiben!

Und das ist ein gutes Zeichen. Ich fühle mich wieder sicher genug, in der alten Umgebung, wo ich getrunken hatte, zu leben. Ohne ständig getriggert zu werden.

Meine Wohnung ist niedlich klein, es ist fast Altbau (1952 wieder aufgebaut. In meinem Stadtteil wütete der Feuersturm und 43 ist da alles zerkloppt worden.) mit Eichendielen und etwas schiefen Wänden und Böden (ja, die mussten halt sehr schnell bauen...). Ich hatte mich in den letzten Monaten da ziemlich festgewühlt. In vielen Ecken liegt Zeugs herum, das eigentlich nur mal weggebracht werden müsste. Alte Kleidung, Kartons, Tüdelkram.
Aus dem dezenten Chaos kann ich also gleich ein nettes Projekt starten: Wohnung wieder flauschig machen.

Und die Spinnen verjagen. Ich hab ja nix gegen die, aber uihhh, sind da viele Spinnweben. Sieht nicht schön aus. Die zweite Woche im Oktober werde ich also mit putzen verbringen und erstaunlich: ich freue mich sehr darauf.

Die Kartons hat übrigens mein Brüderchen schon entsorgt, vielen Dank nochmal :)

Gegen 14 Uhr bin ich dann leicht widerwillig wieder gefahren, weil ich noch eine Freundin auf der Veddel treffen wollte. Besagte Freundin war diejenige, die mich vor 10 Wochen ins Krankenhaus geschafft hatte und wir haben uns gestern endlich wieder getroffen. Hach, war das schön! Die Umgebung da finde ich eh super und ich überlege schon länger, vielleicht auf die Veddel zu ziehen. Das kommt natürlich drauf an, ob man dort etwas findet, ob ich demnächst mal endlich einen guten Job finde und wieviel Geld mir nach diesem ganzen teuren "Vergnügen" noch bleibt. Man wird sehen.

Was mir gestern nicht gefiel: die Stadt. Diese Menschen- und Automassen. Der Gestank. Das Laute. Die Ungeduld. Das Gedrängel. Das ewige Warten auf den Bus, der nach über 30 Minuten dann doch mal kam. Nee, Kinners. Ich weiß ja nicht.

Vielleicht verlasse ich Hamburg. Also nicht, dass ich in die Pampa ziehen möchte, aber irgendwie so ins Umland wäre mir eigentlich lieber. Ostholstein? Altes Land? Zurück nach Dithmarschen??? Uuuuh, nee. Das denn wohl doch noch nicht.
Ich habe Bock auf ein Wohnprojekt, Mehrgenerationenhaus. Kreatives Leben mit und in der Natur. Ich werde mich mal schlau machen.

Jedenfalls bin ich gestern innerlich sehr glücklich und äußerlich lächelnd wieder den Berg hochgelatscht mit der Gewissheit, dass ich es zuhause schaffen werde.

Spinnchen, nehmt euch in acht. In 5 Wochen kommt die Besitzerin zurück und dann ist aber Schluss mit der Gemütlichkeit!

Achso: heute bin ich 10 Wochen trocken :)

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