Samstag, 5. September 2020
Hilfe finden
Seit 2 Monaten schreibe ich jetzt diesen Blog und in der kurzen Zeit kamen Menschen auf mich zu, denen es so ergeht wie mir. Bis auf die Tatsache, dass sie sich noch keine Hilfe geholt haben.

Was kann man tun, wenn man merkt, dass man eindeutig zu viel trinkt, wenn es einem immer schlechter geht und man die Kontrolle verliert?

Als erstes wäre da der Hausarzt/ die Hausärztin. Vor 9 Jahren hatte ich eine nicht so wirklich gute, die mir auf mein Blutkotzen hin empfahl, "mal ein Süppchen zu essen". Ende vom Lied: ich wies mich selber ins Krankenhaus ein und nachdem alles durch war, also knapp ein Jahr später, lobte sie sich, wie toll sie das alles gewuppt hatte.

Ja nee. Is klar. Nix haste gewuppt, Frau Doktor.

Ein guter Arzt erkennt, dass der Mensch vor ihm am Ende ist und ergreift entsprechende Maßnahmen. Zum einen natürlich eine Überweisung in eine Klinik zum entgiften. Das reicht aber nicht. Möchte man nicht erst aus purer Verzweiflung den Weg über die Geschlossene gehen, muss man einen Termin zum entgiften machen. Ansonsten wird man in 99% der Fälle erstmal wieder nach Hause geschickt. Die Stationen sind erschreckend voll, man sollte sich auf Wartezeiten bis zu 2 oder sogar 3 Wochen einstellen. Zudem muss man meistens regelmäßig auf der entsprechenden Station anrufen, um seinen Willen zu "beweisen". Was vielen durchaus schwer fällt. Man ist so in seinem Elend, dass es unsagbar anstrengend ist, täglich zu einer festen Uhrzeit die Klinik anzurufen. Klingt komisch, ist aber so. Man schafft es ja auch nur selten, zu duschen, geschweige denn mal aufzuräumen etc.

Hat man einen Termin: entgiftet NICHT VORHER ZU HAUSE!! No fucking way, das lasst bitte hübsch bleiben. Trinkt weiter. Haltet den Spiegel so, dass ihr nicht entzügig werdet. Es ist auch absolut kein Problem, mit Promille auf der Station anzukommen. Die sind das da gewohnt und ihr seid ganz bestimmt nicht alleine. Alles besser, als alleine zu entziehen.

Und erst nach ca. 4 bis 5 Tagen, wenn man allmählich von den Benzoediazepinen runter ist und wieder anfängt, sich halbwegs menschlich zu fühlen, erst dann geht der Weg weiter.

Nehmt euch die Zeit, der Körper braucht die Ruhe. Die Seele auch, aber das kommt erst viel später.

Nach der ersten Woche wird ein/e Therapeut/in auf euch zu kommen. Man bespricht dann das weitere Vorgehen und die Möglichkeiten, die man hat. Macht bitte nicht den Fehler und denkt nach den 21 Tagen, dass jetzt alles ok wäre. Ist es nicht. Auch wenn man sich fühlt, als könnte man die Welt erobern. Nope. Fallt nicht drauf herein. Das wird einem in den Gesprächen auch gesagt, dass die 21 Tage nicht reichen werden. Zumindest nicht in den allermeisten Fällen. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass gerade mal 2% es direkt nach der qualifizierten Entgiftung geschafft haben, ab sofort abstinent zu bleiben. Glückwunsch. Aber so selten wie ein Albino-Seebär.

So: kommen wir zu den Anträgen. Igitt, Bürokratischer Kram. Aber man hat Hilfe. Die Therapeuten wissen sehr genau, was man wo beantragen kann. Man muss einen Lebenslauf schreiben und der wird dann genutzt, um einen Sozialbericht zu verfassen. Der plus Arztbrief geht dann an die entsprechenden Stellen.
Eine Langzeittherapie wird in den meisten Fällen von der Deutschen Rentenversicherung bezahlt.
Eine Vorsorge (die es nur selten in Deutschland gibt!), wird von der Eingliederungshilfe/Gesundheitsamt bezahlt.
Die Entgiftung zahlt die Krankenkasse.

Und sind die Anträge dann raus, heißt es warten.

Hier in der Vorsorgeeinrichtung, wo ich mich noch 4 Wochen aufhalten werde, kann man bleiben bis endlich die Kostenzusage der DRV da ist und ein Platz in der gewählten Langzeittherapie frei ist. Das kann relativ schnell gehen. Oder auch seeeehr lange dauern. In meinem Fall waren es damals fast 3 Monate. :-/

Hat man nicht die Möglichkeit, in eine Vorsorge zu gehen, empfiehlt es sich, eine Beratungsstelle aufzusuchen und/oder sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Was auch immer man macht: möglichst nicht alleine bleiben. Der Suchtdruck wird wiederkommen und wenn man endlos lange wartet auf den erlösenden Brief, ist es gefährlich. Der Frust lässt einen schnell wieder zur Flasche greifen.

Das mag jetzt alles sehr kompliziert klingen. Aber eigentlich ist es das nicht. Kompliziert ist das Warten. Und natürlich der erste Schritt, sich überhaupt Hilfe zu suchen. Aber wenn man den gemacht hat: allerherzlichsten Glückwunsch!

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Sonntag, 30. August 2020
Vorbereitung auf die Rückkehr
Bisher war ich zweimal nach der Entgiftung in meiner Wohnung. Einmal, um Kleidung und Krams für den Aufenthalt hier zu holen, das zweite mal einfach nur so, mit einem Freund von hier. Beide Male fühlte ich mich eher unwohl und wollte relativ zügig wieder weg, in die sichere Umgebung.

Gestern war es anders. Ich kam rein und alles was mir einfiel war: will hierbleiben!

Und das ist ein gutes Zeichen. Ich fühle mich wieder sicher genug, in der alten Umgebung, wo ich getrunken hatte, zu leben. Ohne ständig getriggert zu werden.

Meine Wohnung ist niedlich klein, es ist fast Altbau (1952 wieder aufgebaut. In meinem Stadtteil wütete der Feuersturm und 43 ist da alles zerkloppt worden.) mit Eichendielen und etwas schiefen Wänden und Böden (ja, die mussten halt sehr schnell bauen...). Ich hatte mich in den letzten Monaten da ziemlich festgewühlt. In vielen Ecken liegt Zeugs herum, das eigentlich nur mal weggebracht werden müsste. Alte Kleidung, Kartons, Tüdelkram.
Aus dem dezenten Chaos kann ich also gleich ein nettes Projekt starten: Wohnung wieder flauschig machen.

Und die Spinnen verjagen. Ich hab ja nix gegen die, aber uihhh, sind da viele Spinnweben. Sieht nicht schön aus. Die zweite Woche im Oktober werde ich also mit putzen verbringen und erstaunlich: ich freue mich sehr darauf.

Die Kartons hat übrigens mein Brüderchen schon entsorgt, vielen Dank nochmal :)

Gegen 14 Uhr bin ich dann leicht widerwillig wieder gefahren, weil ich noch eine Freundin auf der Veddel treffen wollte. Besagte Freundin war diejenige, die mich vor 10 Wochen ins Krankenhaus geschafft hatte und wir haben uns gestern endlich wieder getroffen. Hach, war das schön! Die Umgebung da finde ich eh super und ich überlege schon länger, vielleicht auf die Veddel zu ziehen. Das kommt natürlich drauf an, ob man dort etwas findet, ob ich demnächst mal endlich einen guten Job finde und wieviel Geld mir nach diesem ganzen teuren "Vergnügen" noch bleibt. Man wird sehen.

Was mir gestern nicht gefiel: die Stadt. Diese Menschen- und Automassen. Der Gestank. Das Laute. Die Ungeduld. Das Gedrängel. Das ewige Warten auf den Bus, der nach über 30 Minuten dann doch mal kam. Nee, Kinners. Ich weiß ja nicht.

Vielleicht verlasse ich Hamburg. Also nicht, dass ich in die Pampa ziehen möchte, aber irgendwie so ins Umland wäre mir eigentlich lieber. Ostholstein? Altes Land? Zurück nach Dithmarschen??? Uuuuh, nee. Das denn wohl doch noch nicht.
Ich habe Bock auf ein Wohnprojekt, Mehrgenerationenhaus. Kreatives Leben mit und in der Natur. Ich werde mich mal schlau machen.

Jedenfalls bin ich gestern innerlich sehr glücklich und äußerlich lächelnd wieder den Berg hochgelatscht mit der Gewissheit, dass ich es zuhause schaffen werde.

Spinnchen, nehmt euch in acht. In 5 Wochen kommt die Besitzerin zurück und dann ist aber Schluss mit der Gemütlichkeit!

Achso: heute bin ich 10 Wochen trocken :)

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Dienstag, 25. August 2020
La Vie En Rose
...singe ich schon den ganzen Tag. Obwohl es nichts wirklich neues von den Ämtern gibt, das Wetter blitzartig von "Ooooh, Sommer!!!" zu "Äh. Herbst??" gewechselt hat und es in Strömen regnet (aber der Wald riecht sooo toll!!) und ich hier allmählich auf der Stelle latsche.

Ich habe einfach eklig gute Laune :))

So einiges ist passiert seit dem letzten Eintrag.

Zum einen ist schon wieder jemand entlassen worden. Aber das ist jetzt vielleicht auch nicht die schlaueste Art gewesen, abends einfach nicht mehr heimzukehren, die gesamte Nacht weißderGeier wo herumzusaufen und nächsten Vormittag blau wie 1000 Russen den Berg hoch zu torkeln. "Binwiedadaaaa!"

Das war der achte (!!) Aufenthalt des Mannes hier. Man könnte traurig sein über soviel Elend. Es hält sich dann aber doch arg in Grenzen mit dem Mitleid, weil er jeden äußerst abfällig bewertete und dies auch sehr laut kundtat, dass Rückfälle nur etwas für Loser und W****** seien. Tjaaa....

Und dann ist da ja auch noch Corona. Soviel haben wir hier oben bis Anfang der Woche nicht mitbekommen. Seit 4 oder 5 Wochen dürfen wir wieder Besuch (nach den Regeln natürlich) bekommen und ansonsten lebt man ohne MSN.

Bis gestern. Ohne Maske nur noch draußen und dann auch nur mit Abstand. Und die Situation im Speisesaal sieht jetzt so aus, dass immer nur eine der drei Gruppen im Saal essen darf, die anderen 3 essen in deren Aufenthaltsräumen. Huchhach. Das hat erstaunlich gedauert, bis es bei allen verständlich ins Hirn gelangt ist. Und dann dieses Entsetzte "Was heißt das, WIR müssen unser Geschirr selber abwaschen?? WAS??" (Wir reden hier von 6 Tellern und Besteck).
Alles aus der Küche wird nach wie vor in der Spülküche durch die Maschine gejagt. Also wirklich keine Raketenwissenschaft, aber neiiiiiin, wie uuuunbequem und aaaaanstrengend...

*gna*

Ich bin aber ziemlich happy über die neue Situation, weil ich erstens in einer ganz und gar netten Gruppe bin, der einzigen gemischten (was ich immer gegenüber reinen Frauengruppen vorziehe), die anpacken kann. Wir haben uns es schon nett gemacht, alles rübergeholt, was man so als Amenities braucht: Tabasco, schwarzer Pfeffer aus der Mühle, die selbstgekochten Marmeladen von U., Senf. Die Einteilung, wer was holt, wegbringt und die Wohnküche wieder säubert hat genau 2 Minuten gedauert. Zack. Das Leben kann so einfach sein ;-)

Und zum anderen: KEIN SPÜLDIENST MEHR! Ich hatte eh geplant, nächsten Mittwoch den Dienst abzugeben. Aber so geht es auch, hehe. Die letzten fünf Wochen hier möchte ich mich noch mehr auf mich konzentrieren. Und nicht 3 mal am Tag 7 Tage die Woche den Dreck der anderen wegmachen.

Heute habe ich ein Seidentuch in grünlila mit silbernen "Helm-von-Loki"-Elementen fertig gestellt. Und den angefangenen Korb sehr deutlich beiseite gestellt.
Ergotherapeutin: "Aber möchten sie den nicht noch fer....?" "Nein!" "Aber das ist doch nur noch der Ra...." "Neihein!" "Nicht??" "NEIN!" "Oh. Okay. Dann stellen sie ihn mal an die Seite."

So gerne ich handarbeite, aber ich ahne, warum Körbe flechten einst eine Knastarbeit war *g*

Nachmittags gab es "Entspannte Bewegung" und ich habe es sehr genossen. Bei weit offenen Fenstern auf Matten liegend, schön zugedeckt und dazu Anweisungen zur Tiefenentspannung gelauscht: hat geklappt. Danach fühle ich mich immer 5 Zentimeter größer und leicht wie eine Feder.

Und dann gab es auch noch ein absolut leckeres Gulasch. Also WIRKLICH lecker. Ich sage es der Küchendame auch immer, wenn ich etwas wirklich gut fand. Man kann ja auch durchaus mal loben und danke sagen anstatt ständig zu nölen, nicht wahr?

Alles in allem war das der erste wirklich gute Tag seit einigen. Ich war frustriert, genervt, gelangweilt. Hab dann erkannt, dass es einem außerhalb der Käseglocke hier ganz genauso geht und es sich ja auch nur noch um knapp 6 Wochen handelt. Auch draußen hat man miese Tage, wo man sich selbst nicht leiden kann und alles doof ist.

Der Suchtdruck ist ganz weg, die absolute Akzeptanz nach wie vor da. Meine Bezugstherapeutin fing zwar an, doch noch eine Langzeittherapie vorzuschlagen, aber das werde ich keineswegs machen. Ich bleibe weiter in Behandlung, keine Frage. Aber nochmal 4 Monate weg? Nein. Und ich muss auch nicht bei Null anfangen. Ich kenne die Skills und vor allem weiß ich ganz genau, warum ich rückfällig geworden bin.

Ich beginne, mich ganz langsam, aber zuversichtlich, auf zu Hause zu freuen...

Um es mit Peter Fox zu sagen: "Steig auf den Berg aus Schrott, weil oben frischer Wind weht!"

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