Mittwoch, 29. Juli 2020
Sucht=0, Ich=1
Heiligs Blechle, was war DAS denn für ein Tag? Irgendwie ging alles schief.

Zum einen: Gemeinschaftsdienstbesprechung. Hier ist das so geregelt, dass wir Patienten zahlreiche Dienste übernehmen. Einige arbeiten 3 x täglich, 7 Tage die Woche, das ist dann z.B. Tische eindecken, abdecken, spülen. Ich bin in der Spülküche, wir sind da 4 sehr lustige Leute und ab und an erklingt auch mal ein altes Arbeitslied aus den Südstaaten *zwinker*

Montags werden dann andere Sachen erledigt, das dauert je Dienst höchstens 2 Stunden. Damit hat man dann sein Soll erfüllt. Also die Auffahrt fegen, z.B. Oder vielleicht den Mülleimer im Fitnessraum leeren. Alles nicht so Sachen, die entweder Raketenwissenschaft sind oder irre anstrengend.
Trotzdem gibt es natürlich auch hier so Gesellen (ja, ausschließlich Männer!), die den lieben langen Tag die Eier schaukeln und nichts machen. Und da einige jetzt monatelang den 3xtäglich-7 Tage-Dienst gemacht haben, sehen die das nicht mehr so ganz ein und baten um einen Tausch. Völlig nachvollziebar.

Es gab Gemecker, Gezeter und eine Therapeutin, die ob des Ganzen sanftmütig sprach "Gehen Sie mal an sich, eventuell erkennen sie ja doch so irgendwie, dass Dienst an der Gemeinschaft sehr schön sein...."

...in dem Moment ist mein Kopf wie bei Homer Simpson nach hinten geknickt und ich hätte fast angefangen, zu schnarchen. Fuck them, dann gibt es eben Strafdienst. So einfach ist das. (Ja, ich komme aus der Gastro. Ja, da is nix mit Blümchen und Säusel und eititei. Finger aus dem Po und anpacken!)

Stimmung allenthalben: mies. Natürlich kein Strafdienst, aber natürlich auch keine Lösung.

Dann musste ich nochmal nach Hamburg, weil ich Paddelkopp vergessen hatte, Strom abzulesen. Und wollte gemütlich noch zu Karstadt, Wolle kaufen für mehr Socken und vielleicht noch etwas Gutes essen.

Nix da. Schon in der Wohnung bekam ich Suchtdruck. Ich wollte trinken. Also nicht mich wegschiessen, sondern einfach nur eine Mische. Eine Dose Captain Morgan oder so. Leicht hektisch habe ich sofort die Wohnung verlassen und bin per Bus nach Wandsbek. Was sehe ich? Karstadt macht dicht. Wolle war nur noch als Restposten zu kriegen, Schlangen bis zu 25 Metern. Also da auch wieder raus, auf den Fahrplan geguckt und gedacht, dass ich wohl besser jetzt schon wieder zurück fahre, bevor ich noch Unsinn mache.

Und Zack, bleibt die UBahn stecken. Hnnnngh...Der Mensch neben mir, der keine Maske trug, wurde von mir so böse angeblitzt, dass er dezent panisch seinen Putenschnulli...Schnutenpulli aufsetzte. Geht doch, muss ich immer erst giftig gucken? *g* (Und ich möchte betonen, dass ich wirklich nie etwas sagen muss. Ich guck einfach nur, hehe)
Neue UBahn kam an und am Hauptbahnhof den Zug zurück hierher in der allerletzten Sekunde noch erwischt.

Die Schnuckel T. und M. haben mich dann vom Zug abgeholt, weil ich schon per WhatsApp vorgewarnt hatte, dass ich kribbelig bin.

Und jetzt geht es mir wieder gut. Ich bin standhaft und aufmerksam geblieben und gerade ein klitzekleines bisschen stolz auf mich.

Wäre heute dann endlich mal Post vom Arbeitsamt oder der KK gekommen, dann wäre ich wirklich zufrieden. Naja, hätte ja sein können, so nach 14 Tagen. Was ich aber auch immer verlange, tsts...

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Dienstag, 28. Juli 2020
Wieso meldest Du dich nicht bei Rückfall?
Weil man es nur sehr sehr schwer kann. Ganz einfach.

Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich Freunden und teilweise auch der Familie versprochen habe, mich zu melden falls ich wieder unruhig wurde oder sogar schon etwas getrunken hatte. Zahllose Male.

In den meisten Fällen konnte ich den Konsum bestens verstecken und es waren auch immer nur wenige Tage.

Während der ersten Corona-Welle ging das leicht, man durfte ja eh niemanden sehen und wenn ich mir 3 oder 4 Tage lang Alkohol "genehmigte", fiel das natürlich niemandem auf.

Nach dem missglückten Entgiftungsversuch in Wandsbek im April versprach ich wieder einigen Freundinnen, mich sofort zu melden im Fall der Fälle.

Aber wisst ihr, dass das, was man so leicht verspricht, für einen Alkoholiker fast zu 100 % nicht einzuhalten ist? Die Gedanken drehen sich nicht um Freunde, Familie etc. Man kümmert sich nicht um Versprechen oder Zusagen oder um das soziale Auffangbecken, was man eigentlich zu nüchternen Zeiten aufgebaut hat. Das ist alles egal. Das einzige, was einen noch kümmert: wo kriege ich Alkohol her.

DAS zählt. Alles andere ist vergessen, sobald man wieder so richtig im Teufelskreis drin ist. Und natürlich verschwindet man von der Bildfläche. Man ist nicht mehr aktiv in den sozialen Medien unterwegs und geht möglichst auch nicht mehr ans Telefon.
Lange vorher verabredete Treffen werden unter Vorwänden abgesagt. Arzttermine, auf die man monatelang warten musste: abgesagt. (Wäre ich zu meinem Orthopäden gegangen, würde ich jetzt nicht hier sitzen und selbst Nachts bewegungslos Schmerzen in dem sehr kaputten Knie haben...ich Quadrattrottel)

Man will nur weiter trinken. In meinen Fall aus purer Panik vor den physischen Entzugserscheinungen, die bei mir immer richtig fies sind.

Insgeheim weiß man natürlich, dass man sich melden sollte, oder zumindest eine Beratungsstelle aufsuchen. Krankenhäuser sagen auch immer und ständig "Kommen Sie jederzeit vorbei, das ist absolut kein Problem!" --- Was nicht stimmt. Wenn man nicht sagt, dass man sich umbringen will, geht da gar nichts. Außer man steht auf einer Warteliste, die wiederum von einem verlangt, dass man weitersäuft (um die Gefahr eines kalten Entzugs abzuwenden). Und dann soll man erstmal die Energie aufbringen, da auch wirklich täglich anzurufen. Hölle, ich habe es ja nicht mal geschafft, irgendwas zu essen, zu duschen oder zumindest mal den Müll wegzubringen.

Ja, das mag unwahrscheinlich klingen, dass man nicht die Energie/den Mut/etc. aufbringt, kurz mal im KH anzurufen. Aber so ist es nun mal.

Und so bringt man erst recht keine Energie auf, Freunde anzurufen. Die Angst vor Vorwürfen, Entsetzen und vielleicht sogar Ablehnung ist einfach viel zu groß.

Hat man es dann irgendwie doch in die Entgiftung geschafft und danach in eine Vorsorge/Therapie, dann kommen all die guten Vorsätze wieder hochgeploppt wie Popcorn. Und man schämt sich noch ein wenig mehr als eh schon, weil man das hübsche Sicherheitsnetz schon wieder nicht genutzt hat.

Selbst jetzt, nach 5 Wochen Trockenheit, bin ich mir meiner selbst noch nicht sicher. Absolut nicht.

Ich war gestern in Hamburg unterwegs und hatte mein Gummiband vergessen. Gottseidank war Freund M. mit und hatte mir eins geliehen. Uih, habe ich mit dem Ding herumgeschnippst, je näher wir der stressigen Großstadt kamen. Aber dann wurde es besser und Abends bin ich sehr entspannt wieder nach Hau...ähm...in die Einrichtung gefahren. Tsas, jetzt hätte ich fast "nach Hause" geschrieben. Das wird es hier nie sein, dafür fand ich meine Wohnung gestern viel zu toll :D

Aber es ist ein sicherer Platz. Der sicherste, wo ich mich derzeit aufhalten kann und definitiv derzeit mein Zuhause.

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Samstag, 25. Juli 2020
Das kontrollierte Trinken
Tja, da streiten sich die Geister. Ist es möglich, als Alkoholiker/in kontrolliert zu trinken?

Also bei mir geht das nicht. Ich habe es ja ausprobiert. So ca. vor einem Jahr fing ich an, alle paar Wochen mal eine Weinschorle zu trinken, so schwach, dass man auch ein Glas Wasser hätte nehmen können und einfach "WEIN!" da rein gebrüllt hätte. Aber: es enthielt natürlich nichtsdestotrotz Alkohol.

Und da nach so einem Schörlchen rein gar nichts passierte, nicht mal ein Räuschlein, aber auch kein Craving nach mehr, dachte ich mir natürlich: "Och. Dann vielleicht n büschen mehr Wein. Juchu, es geht wieder!!"

Bis ich das Wasser wegließ. Ging immer noch. Und ich wusste, dass ich falsch abgebogen war und sich die Suchtspirale wieder öffnete. War ich aufmerksam mir gegenüber? Nope. Hatte ich alles vergessen, was ich vor 8 Jahren erlernt hatte? Jupp.

War es mir schnurzpiepegal? Ja. Leider. Und dann begann die Spirale sich zu drehen und das Ende ist bekannt.

Mir sind allerdings auch Fälle bekannt, in denen trockene (naja, halbtrockene...) Alkoholiker/innen irgendwann auch wieder anfingen, z.B. Bier zu trinken und es tatsächlich geschafft haben, ein einziges Abends zu trinken. Nicht mehr und nicht weniger. Auch nicht auf Partys oder bei sonstigen Anlässen. Das kann durchaus funktionieren, aber soweit mir bekannt, ist das kontrollierte Trinken die ganz große Ausnahme. Früher oder später greifen MEOS oder das Suchtgedächtnis wieder durch und erkämpfen sich die Oberhand.

Es gibt Suchtexperten, die das kontrollierte Trinken als eine Möglichkeit für Alkoholiker betrachten, um den Ausstieg ein wenig zu erleichtern. Der Satz "Niemals wieder auch nur einen Tropfen!" ist hart und endgültig. Sehr viele können es sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie es sein wird, völlig ohne Alkohol zu leben. Ich gehörte auch dazu. Aber dazu gehören natürlich auch Menschen, die kein Suchtproblem haben (oder es zumindest glauben).

Ladet mal zu einem Essen ein und es gibt nur alkoholfreie Getränke. WHAT? Och nöööö! Da haben viele plötzlich fix etwas anderes vor oder der Dackel hat Schnupfen oder es regnet oder sonstwas. Ich habe es versucht. ;-)

Ich persönlich komme mit den AA (Anonymen Alkoholikern) nicht besonders gut klar (später dazu mehr), aber ein Satz von ihnen hat mir in all den trockenen Jahren sehr geholfen: "Heute nicht!"

Jaja, klingt jetzt wie aus "Game Of Thrones", ich weiß *g*. Passt aber.

Wenn man sich einfach morgens vornimmt, heute nichts zu konsumieren, ist es viel einfacher als zu sagen, dass man nie wieder trinkt.

Man sollte dieses "Heute nicht!" halt bloß nie vergessen. Und dann ist es eigentlich nicht so schwer, gar nicht zu trinken.
Wenn ich einen sehr guten Tag habe, so wie heute z.B., dann bin ich mir absolut sicher, es wieder zu schaffen. Ich mag mich wieder im Spiegel angucken, ich bin sogar leicht gebräunt, strahlende Augen und Lächeln, viele gute Bücher die auf mich warten, das Wetter ist herrlich (dieser Sommer ist sowieso super, soviel steht mal fest!), ich bin hellwach im Kopf, schlafe ausgezeichnet und habe hier einige sehr tolle Menschen kennengelernt. Mir scheint sozusagen die Sonne aus dem Popo :)

Und an solche Tage muss ich mich erinnern. Weil es werden andere Tage kommen. Es wird auch wieder Durst auf Wein kommen.

Aber: HEUTE NICHT!

Habt ein schönes Wochenende!

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