Donnerstag, 9. Juli 2020
Wie verläuft eigentlich 'ne Entgiftung...
Ich konnte mir bis Anfang 40 nicht vorstellen, was eigentlich mit dem Körper passiert, wenn man den Alkohol plötzlich weglässt. Also nicht, wenn man mal ein Glas Wein getrunken hat (eins pro Woche oder so), sondern wenn man regelmäßig trinkt. Und viel trinkt. Und dann auch noch hartes Zeug, Wodka in meinem Fall.

Alkohol dämpft alles, auch den Körper und dessen Funktionen. Wenn man diese Bremse jetzt loslässt, passiert das gleiche wie mit einem Auto: man gibt Gas. In diesem Fall rast der Körper los. Vor allem das Herz. Darum ist ein Entzug ohne Aufsicht und ohne Medikation auch so gefährlich. Definitiv nicht zu empfehlen.

Man zittert. Man schwitzt. Man riecht nicht gut, dass ist nicht nur Schweiß, da kommt irgendwie alles aus einem raus was schlecht ist. Man kann sich absolut nicht konzentrieren, höchstens darauf, dass man nicht kotzt. Oder auf Klo rennt. Oder beides gleichzeitig. Man liegt also ca. 4 bis 5 Tage zusammengerollt auf dem Sofa/dem Bett und wartet einfach stumpf, das es vorbei geht.
Oh, und man hat Alpträume. Das Gehirn galoppiert anscheinend auch los und Heilige Scheiße, hatte ich Schiss. Grauenvolle Träume voller Zombies, zerhackte Freunde, brutale Morde. (Und nein, ich gucke grundsätzlich keine Horrofilme...keine Ahnung, wo das alles herkam).

Im Krankenhaus bekommt man Benzoediazepine. In meinem Fall Oxazepam. Ziemliche Zombiemacher, aber der Entzug ist so viel gedämpfter und nicht so fast unerträglich. Rumtaddern und wie eine Marionette durch die Gegend tapern gehört da allerdings auch dazu. Da ich nicht so sehr lange schwer getrunken hatte, war es diesmal relativ schnell vorbei. Nach 4 Tagen bekommt man nur noch eine letzte am Abend und darf danach auch aufs Gelände, am nächsten Tag auch raus. Und uih, hat man Hunger! Selbst der Plastikfraß in diesem Krankenhaus wurde sehnsüchtig erwartet. Und man kann dann auch an Therapien teilnehmen. Dazu gehören Suchtgruppen, Einzelgespräche mit Therapeuten, Ergotherapie und Sport. Das alles wurde aufgrund Corona nur eingeschränkt angeboten, aber besser als nichts.

Nach ca. 2 Wochen guckt man dann in den Spiegel und ahnt, wie man eigentlich aussieht. Es ist erschreckend, was Alkohol mit dem Gesicht so anstellt. Aufgedunsen, rot, geschwollen und tote Augen. Mittlerweile sehe ich fast wieder aus, wie ich eigentlich aussehe. Dauert noch ca. 3 Wochen, dann erschrecken Freunde auch nicht mehr, wenn sie mich sehen...

Was außer den physischen Beschwerden natürlich auch noch da ist: Scham, Schuld und Versagen. Und daran knabbert man weitaus länger als an der Entgiftung an sich. Wenn man Glück hat (und das hatte ich), trifft man eine/n Therapeuten/in, der/die nachhakt und mit dem/der man aufarbeiten kann, wieso das denn überhaupt passiert ist. In meinem Fall waren es mehrere Ereignisse, die fast gleichzeitig auf mich einprasselten. Dazu mehr später.

Nach meiner erstes qualifizierten Entgiftung 2012 marschierte ich aus dem Krankenhaus in bester Verfassung (dachte ich), voller Zuversicht und ausgestattet mit der absoluten Gewissheit, dass ich ab sofort trocken bin und das ja eigentlich ein Kinderspiel war. Wie naiv man doch manchmal ist. Man ist körperlich trockengeschleudert, hat aber eigentlich überhaupt keine Ahnung, was ein Suchtgedächtnis ist, wie es funktioniert und wie irre hoch die Gefahr ist, ziemlich schnell wieder zu trinken. Natürlich "kontrolliert" und "das hat man im Griff" usw.
Am Arsch. Hat man nicht. Eine kleine Minderheit schafft es nach dem Trockenschleudern, trocken zu bleiben. 70 -90 % der Patienten werden im ersten Jahr direkt rückfällig und landen wieder mit Oxa zugeballert auf der ZNA.
Ohne weiterführende Therapie oder zumindest eine Selbsthilfegruppe wird das nix. Das musste ich damals auch erst lernen.

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Das Jetzt
Ich bin Alkoholikerin. Seit 10 Jahren. 8 Jahre war ich trocken, dann kam einiges zusammen und jetzt bin ich in einer Vorsorgeeinrichtung am nördlichen Rand der Lüneburger Heide, um meine zerbröselten Seele und Körper wieder zusammen zu basteln.

Und ich bin glücklich.

Dieser ganze krumme Weg und das Warum und Wieso und Hä? möchte ich hier aufarbeiten. Einmal für mich, und dann vielleicht auch für andere Betroffene. Seien es Alkoholiker oder Angehörige. Ich weiß, dass man es schaffen kann. Ich weiß aber auch, wie gefährlich nahe am Abgrund wir die gesamte restliche Lebenszeit herumtanzen.
Vielleicht hilft mein Schreiben anderen. In erster Linie wird es aber mir helfen.

Es ist Mittwoch. Seit gestern bin ich aus dem AK Wandsbek raus. Dieses Krankenhaus ist so ungefähr das letzte, wo ich hinwollte. Die hatten mich im April, als ich zum ersten Mal um Aufnahme bat, einfach 8 Stunden herumliegen lassen (und so ein Entzug ist fies, eklig und gefährlich), bis ich “nur” noch 1,9 Promille hatte und haben mich dann auf die Straße gesetzt. Ich möge doch bitte den Bus nach Hause nehmen. Möchte ich mich umbringen, fragten sie. Ich verneinte vehement. Tja, da ist die Tür. Auf mein verzweifeltes Flehen, dass ich aber nicht wisse, wie ich das hinkriegen soll, kam ein lapidares “Weitertrinken”.

Als ich endlich (per Krankentransport, das hatte eine stinkwütende Freundin via Telefon organisiert) zu Hause war, war ich trotz Entzugserscheinungen so unglaublich sauer, dass ich einfach selber entzogen habe. Ohne Medikamente, ohne alles. Das ist lebensgefährlich, aber die Wut hielt mich aufrecht. Nach 4 Tagen ging es besser, ich konnte wieder etwas essen ohne dass es oben und unten sofort wieder rauskam. Dann blieb ich trocken. Für ca. 3 Wochen. Und der “kleine Fiesling” im Kopf, das elende, verdammte Suchtgedächtnis, wurde wieder lauter. Und gewann. Sämtliche Skills, antrainierte Fähigkeiten und Methoden um dem Suchtdruck zu widerstehen, versagten. ICH versagte. Och….einen kann ich ja. Passiert ja nix. Ich hab das absolut im Griff. Ja klar, am Arsch!

Eine sehr liebe Freundin fing an, sich Sorgen zu machen. Ich verschwand mal wieder von der Bildfläche. Am Mittsommertag sagte sie, sie komme vorbei, koche mir ein paar Nudeln und dann sehen wir mal.

Als sie mich dann sah (und man sieht wirklich schlimm aus nach einigen Wochen stramm durchsaufen), fing sie sofort an, eine Tasche zu packen und die 112 anzurufen. Wir einigten uns, dass ich suizidale Absichten hätte. Einfach aus dem Grund, dass ich nicht schon wieder rausgeschmissen werden wollte.

Vom Rest des Tages weiß ich nicht mehr viel. Wir fuhren nach Eilbek, dort wurde ich in einen schwarzen Van gesetzt, mit drei Zivilbullen oder was auch immer das waren. Ich saß hinten links, keine Tür an meiner Seite. WTF??? Ich kam mir vor wie bei S.H.I.E.L.D. Gleich kommt der Hulk und zermatscht das Auto oder wie? Wir fuhren nach Wandsbek und Zack, war ich in der Geschlossenen Psychiatrie. Ich hatte das schon erwartet, aber … PUH! Eine Nacht und den halben Montag schnatterte ich vor mich hin. Ich habe selten wirklich Angst, aber die Geschlossene hat mich traumatisiert. In einer Weise, dass ich das nie, nie vergessen will, um da bitte nie nie wieder rein zu müssen. Die Menschen dort sind krank, aber hey, ich bin da auch nicht weil ich mal Urlaub machen wollte…

Irgendwann schoß der Oberarzt auf mich zu und meinte “Ha, Frau S.! Wir haben ein Zimmer oben frei, sie kommen sofort hier raus. Wollen Sie sich immer noch umbringen?” Nein. Alles ok. War wohl ne Schnapsidee (höhö), sorry nochmal.

Die nächsten 2 Wochen entgiftete ich also, nach 5 Tagen wurden die Oxazepam abgesetzt und ich begann, wieder wie ein halbwegs normaler Mensch zu denken. Lesen ging wieder (ich habe “Drachenläufer” im Buchregal da gefunden und unter Tränen verschlungen), Essen ging wieder. Kein Suchtdruck.

Einige Tage später erzählte mir eine Mitpatientin von dieser Einrichtung hier. Einzelzimmer (Uih!!), mitten im Wald am Rand der Lüneburger Heide. Dort angerufen und auf die Warteliste setzen lassen. Am Freitag den Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Drei Stunden später schoß eine der Pflegerinnen auf mich zu und wedelte mit einem Fax. Die Kostenübernahme war durch. Dreissig Minuten später klingelte mein Telefon und die nette Verwaltung der Einrichtung war dran: “Frau S? Wir holen sie Dienstag ab!”

Ich bekam kurz Schnappatmung, weil ich eigentlich noch Wäsche waschen, Wohnung aufräumen und wieder halbwegs begehbar machen wollte, Rechnungen noch zu zahlen hatte und einen Nachsendeantrag brauchte und Klamotten packen, wohin mit meinen Balkonblümchen, ich brauche mehr Wolle, aaaaaaargh!

Klappte aber alles, was natürlich beweist, dass man ohne Schnaps im Gehirn eindeutig besser denken und planen kann.

Tja, und jetzt sitze ich in diesem Bullerbü im Wald. Das Essen ist super. Die Umgebung traumhaft schön. Hinter dem Wald beginnt gleich die Heide (wo ich noch nicht hindarf, die erste Woche bleibt man auf dem Gelände), die bald blühen wird. Mein Zimmer ist groß und komfortabel. Man kann täglich in der Ergo arbeiten, egal was. Es gibt ein Maleratelier, eine Holzwerkstatt, noch zwei Kunsträume, Fitnessraum, Yogahöhle, Gewächshaus voller Unmengen an Gemüse, Fahrräder für umsonst, wir werden zum Schwimmen gefahren und, und, und.

Ich werde hier wieder gesund, gefestigt und glücklich in drei Monaten rausmarschieren.

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