Freitag, 17. Juli 2020
Wieso eigentlich dieser Titel "Ich kann das alleine!" ?
Ja, das ist etwas irreführend, ich weiß :)

Aber dieser Satz war so ziemlich der erste vollständige Satz, den ich als Kleinkind gesagt hatte. Und der wurde dann irgendwie zu einem relativ blödsinnigen Lebensmotto.

Ich war ca. 4 und bei Oma G., wahrscheinlich über's Wochenende. Sie machte Bandnudeln und ich wollte/sollte helfen. Der fertige Teig sollte in Streifen geschnitten werden und ich: "Das kann ich alleine!" Also Streifen waren es augenscheinlich nicht, was ich da fabrizierte. Opa K. guckte sehr skeptisch, als das Gericht auf den Tisch kam. Aber: ich hatte Essen fabriziert, ha!

Und so blieb es bei. Lesen lernen z.B. Ich war in der Vorschule und erkrankte an einer ziemlich schlimmen Lungenentzündung. Als ich aus dem gröbsten raus war, war mir langweilig, also brachte ich mir das Lesen eben selber bei. Die erste und 2. Klasse waren dann entsprechend langweilig. *g*

Später gaben sich meine Alleingänge, ich war meist gutes Mittelmaß am Gym und wurschtelte mich so durch die Schuljahre. Das einzige, was mich wirklich interessierte, waren Theater, Musik und Kunst. Blöd, dass das Gym den Schwerpunkt auf Naturwissenschaften gelegt hatte. Nach einer Ehrenrunde in der 11. hab ich dann Abi gemacht und bin sofort in die Lehre gegangen.

Da begann mein "ich kämpfe mich da alleine durch" wieder. Die Lehre war schlicht und einfach Ausbeutung. Wir schliefen in rumpeligen Zimmern unterm Dach, ein Bad für bis zu 12 Angestellte, die Bettdecken waren dicke fette Federplumeaus von Anno 1950 (hab ich mich geekelt), Heizung gab es nicht. Das Essen für die Angestellten war der Müll aus den Kühlräumen. Und dann Teildienst, also morgens von 6 bis 14 und dann von 17 bis Küchenschluss. Von März bis Oktober. Dann wurde der Laden dicht gemacht und wir hatten nichts zu tun.

Als Lehre konnte man das im Grunde genommen nicht bezeichnen. Aber hab ich vielleicht mal etwas gesagt? Die Missstände angesprochen? Aber nein, bloß nicht!
Die beste Freundin einer meiner Tanten regelte den Laden bzgl. Rezeption etc. und da muss man ja dankbar sein und darf sich auf gar keinen Fall beschweren.

Heute wäre es anders, aber ich habe wirklich alles geschluckt und gekuscht und mit 40° Fieber weiter gearbeitet. Beleidigt worden, zusammengeschissen und dann auch noch gefeuert, weil ich es zum Ende der Lehre gewagt hatte, mit den Kollegen über Gehälter zu sprechen. Die Chefin rief meinen Vater an und faselte was von "zahlreichen Abmahnungen, daher sei die Kündigung unumgänglich". Bullshit. Es gab nie eine Abmahnung. Dafür halt hysterisches "Du machst uns Schande!!!"-Gebrüll seitens der Eltern.

Ich hatte sofort einen neuen Job (es war Hochsaison in Büsum, das war einfach), schloss die Lehre als Beste der Westküste ab (ganz nach dem Motto: Euch werde ich es zeigen!) und haute ab nach Hamburg. Da lebe ich jetzt seit 1991.

Und diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich wirklich niemandem mehr traute außer mir selber. Auch bei Dingen, die ich mal besser eher an- bzw. ausgesprochen hätte.

Ich brauche keine Hilfe. Ich kann das alleine. Mir hilft ja eh keiner, baue ich Scheiße, komme ich auch alleine wieder raus.

Wie DUMM!

Ganz besonders bei Suchterkrankungen kommt man eben nicht alleine wieder raus. Man muss den ersten Schritt zur Selbsterkenntnis alleine machen. Da kann egal wer noch so eifrig auf einen einreden: will man nicht aufhören, hört man nicht auf. Unter Zwang und Druck geht das nicht. Bzw. ja, klar geht es. Aber sobald man wieder aus der Langzeittherapie, Vorsorge etc. raus ist, geht der erste Weg zum Kiosk.

Es gibt so einige Läden hier, die nur "Rückfallkiosk" genannt werden. Und ich kenne wirklich mehr als genug Menschen, die 16 Wochen oder länger in Therapien wieder aufgeblüht sind und genau einen Tag nach der Entlassung betrunken irgendwo herumlagen.

Es ist furchtbar und das ist mir tatsächlich noch nie passiert. Aber gerade dieser letzte kurze, aber heftige Rückfall hat mir gezeigt: Ich kann es ab einem gewissen Zeitpunkt eben nicht alleine.

Alle ebenfalls Kranken, die hier vielleicht mitlesen: es gibt Hilfe. Macht es nicht so völlig bescheuert wie ich und entzieht zu Hause, alleine. Kalter Entzug kann tödlich enden. Will ein Krankenhaus euch nicht aufnehmen, fahrt zum nächsten.
Zur Not sagt, ihr hättet suizidale Gedanken. Das führt zwar stracks in die Geschlossene, aber nach 24 Stunden ist man wieder raus und auf der korrekten Station.

Und dann sucht euch eine SHG (hatte ich versucht, wird später nochmal Thema), geht zu Beratungsstellen, holt euch Hilfe.

Und hört zu. Versucht, es anzunehmen. Man kann es nicht alleine schaffen. Bzw. ist das nur ein verschwindend geringer Anteil derer, die es ganz alleine schaffen und auch trocken bleiben.

Ich habe erkannt, dass ich definitiv nicht zu dieser Gruppe gehöre. Auch wenn ich das natürlich wollte. Ich, hallöle, die einsame Wölfin (hier Wolfsgeheul vorstellen).

Nope. Es hat gedauert, aber ich habe endlich akzeptiert, dass ich es alleine nicht kann.

Und darum dieser höchst ironische Name des Blogs ;-)

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Hi
was ist eine SHG?
Und wenn ich persönlich fragen darf - was war so schlimm in der Geschlossenen?

Und weiterhin danke für die informativen Texte.
Viele liebe Grüße

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SHG = Selbsthilfegruppe

Und was schlimm an einer Geschlossenen ist? Ich kenne ja nur diese eine in Wandsbek, aber glaube mir: da möchte man nicht sein. Ich habe selten wirklich Angst. Da hatte ich. Vielleicht erzähle ich demnächst mal davon. Aber noch nicht. Ich habe es ziemlich gut verarbeitet und möchte derzeit nicht darüber schreiben.

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Moin, nu lese ich schon einige Tage Deine Worte und möchte Danke sagen , für vieles was Du schreibst was ich auch kenne und erlebt habe ,aber nie so ausdrücken kann.🐢

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Liebe Brigitte, lieben Dank! Ich schreibe es ja auch für uns alle :) Hab ein schönes Wochenende! :x

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danke für den beitrag & liebe grüße aus dem westen der stadt. :-)

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Dankeschön! Liebe Grüße zurück!

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schöne Grüße an Corona
ich finde ja das liest sich wie ein klassischer Corona-Kollateralschaden. Ich weiß, dass das nicht der (einzige) Grund war - aber wenn man die Leute zum "alleine" zwingt kann ja auch nichts Gutes herauskommen. Zum Kotzen. Bitte verlink das falls irgendwo nach solchen Storys gesucht wird.

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Ja, klar hat die Einsamkeit während des Lockdowns auch damit zu tun. Aber ich möchte es irgendwie nicht auf Corona schieben, weil es mir zu Beginn des Lockdowns richtig gut ging.

Hm. Während ich das hier tippe, fällt mir auf, dass das böse C doch irgendwie mit ausschlaggebend war. Immerhin haben ein Drittel aller Deutschen zugegeben, während des Lockdowns viel mehr getrunken zu haben als üblich...

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ja. Das kann ich bestätigen.
Ich hab ja auch irgendwo dieses alles selber und alleine-machen-Ding, aber normalerweise hat man ja doch hier und da Unterstützung und Netzwerke. Wenn mann dann an allen Fronten auch noch dazu gezwungen wird, alles alleine zu machen ist das überhaupt nicht gesund und fühlt sich echt kacke an.
als Mit-Auslöser würde ich das schon ansehen. Da haben sich Dinge zugespitzt die vorher noch okay liefen.

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